Trostlosigkeit pur

Manche Tage möchte man wettertechnisch einfach verschlafen oder nicht mitbekommen. Heute war so ein Tag. Erster Blick aus dem Fenster: grau, Regen, offensichtlich kalt.

Ach, was: es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung. Wer diesen Spruch erfunden hat, den möchte ich gerade boxen. Der Spruch ist genauso bescheuert wie: „Morgenstund hat Gold im Mund“ für einen Jugendlichen! Trotzdem ziehe ich mir meinen Pullover über und meine Jacke an. Regenschirm und Gummistiefel sind gratis inkludiert. So ist das, wenn man einen Hund hat (auch wenn der jede Woche nur ein paar Tage zum Hundesitting da ist).

Loki (der Hund) schaut auch raus. Sieht den Regen. Schaut zu mir hoch. Sein Blick fragt mich gerade, ob ich sie noch alle hätte? Jetzt raus? Die Alte spinnt, denkt der Hund sich. Ich kann gut noch einen halben Tag einhalten. Nix da, Loki. Raus mit dir! OK.

Es nieselt. Es ist kalt (wie befürchtet). Es ist früh am Morgen. Mir kommen kaum Mensch entgegen. Die meisten nehmen ihr Auto bei diesem Wetter (wer kann es ihnen verdenken?). Wie trostlos alles um mich herum erscheint. Wäre ich anfällig für Depression, dann würde ich sie jetzt in diesem Augenblick bekommen. Wann ist diese graue, kalte und regnerische Jahreszeit endlich um? Die hat letztes Jahr im Juli begonnen mit etwas angenehmeren Temperaturen. Jetzt ist März und kein Ende in Sicht. Ich hasse dieses Wetter! Im Juli konnte ich alles noch leicht nehmen, denn wir waren ja „nur“ in Ferien hier und wollten im September wieder „nach Hause“. Ins Warme. Nach Zypern. Daraus wurde nix. Hätte ich das damals schon gewusst, hätte ich vermutlich damals schon eine Depression bekommen. Aber ich bin für Depressionen nicht geschaffen. Lieber halte ich Ausschau nach Erfreulichem. Also begebe ich mich zwischen den Nieselfäden, die sich vom traurig grauen Himmel spinnen auf die Suche nach den kleinen „Glücksmomenten“. Und tatsächlich werde ich fündig:

Die Vögel zwitschern so fröhlich und unbekümmerst, als wäre es bereits Frühling. Es ist als ob ein warmer Luftzug und Sonnenstrahlen über das Land gleiten. Als würde alles in Blütenpracht erstrahlen und das Herz in Jubel taumeln lassen. Welche anmutigen Stimmen dringen da durch die graue Umgebung zu mir. Pure Wonne!

Also beschließe ich genauso glücklich zu sein, wie die kleinen Piepmätze um mich herum. Ich schließe die Augen, höre ihre Stimmen und meine Stimmung hebt sich schlagartig. So einfach ist das! So schnell ist das Gefühl der Dankbarkeit da. Welch Wunder immer wieder, wenn man das Wunder zulässt. Wenn man es schafft sich von allem Negativen aus Medien, Nachrichten und Alltag fern zu halten. Wenn man sich einzig auf die Natur und ein Tier besinnt, das einen die Einfachheit des Lebens nahe bringt, selbst an einem so tristen Morgen wie heute.

Später am Tag klart es auf. Ein kleiner Sonnenstrahl wagt sich zwischen den Wolken hindurch. Noch einmal mache ich mich mit dem Tier auf. Die Temperatur ist angenehmer als am morgen. Schon nach wenigen Metern ziehe ich die Jacke aus. Ich atme tief ein und bin wirklich dankbar. Dankbar, dass ich hier sein darf. Dass es meiner Familie und mir gut geht, dass Loki mich in die Natur „gewzungen“ hat, dass ich diesen Moment genießen darf. Es tut gut und ich möchte springen und singen. Letztres unterdrücke ich aus Sorge um meine Mitmenschen und das Trauma das sie davon bekämen. Ich bin aus tiefsten Herzen DANKBAR.

Ein Blick nach oben verheißt nichts Gutes. Anthrazitfarben zieht es näher. Als ob Petrus persönlich sich meine Dankbarkeitsbekundungen angehört hat und jetzt Taten folgen lässt. „Lass uns die Ernsthaftigkeit dieser Aussdage doch mal herausfinden.“ Ich kann es nicht ahnen und glaube es auch dann noch nicht, als ein Eimer Wasser mich unerbittlich trifft. Das ist kein Regen. Das sind Wassereimer, die einfach mal über mir ausgeschüttet werden. Noch bin ich von dem Gefühl der Dankbarkeit durchdrungen. Ich kann gar nicht anders als zu grinsen. „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“, rufe ich gen Himmel. „Ich bin doch dankbar! Mist, was soll das?“ Bloß nicht das gute Gefühl verlieren, lächeln. Ist nur ein Regenschauer! Kommt vor. Alles gut, Nadja!

Als mir langsam ein kalter Rinnsal Wasser vom Rücken Richtung Unterhose fließt wird es schwerer mit der Dankbarkeit. Als sich die Hose von unten nach oben oder von oben nach unten in eine nasse kalte Masse verwandelt ist es kaum noch auszuhalten und als der Hund stehen bleibt und mich mit bittenden Augen anschaut, reicht es endgültig: „Was für eine verf…. Sch… ist das denn hier?“, rufe ich verzweifelt laut in den Himmel. Als hätte Petrus es gehört, reißt im nächsten Moment der Himmel auf. Die Sonne prallt mir so hart entgegen, dass ich meine Augen zukneifen muss. Um mich herum ertönt wie orchestriert ein Chor an Vogelstimmen (oder ist es Gelächter?). Verdammt! Das war eine himmlische Prüfung und ich bin mit Pauken und Fanfaren durchgerasselt. Habe meine Dankbarkeit nicht mal fünf Minuten durchhalten können. Welch Blamage! Gerne hätte ich diese unfassbare Schönheit der Natur jetzt im Bild eingefangen. Aber ich habe mein Handy nicht dabei. Also bewahre ich das Bild von nun an in meinem Herzen. Auf das es immer dann vor meinem inneren Auge auftauchen möge, wenn mir die Dankbarkeit gerade mal wieder abhanden gekommen ist.

Hund und Mensch kommen nass zu Hause an. Im Herzen trage ich jedoch die Frühlingsrufe und die Hoffnung, dass bald alles wieder gut ist.


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